Eröffnungsrede von Dr. Stephan Keller
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Dr. Horowitz! Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf! Lieber Mischa Kuball!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Am 9. November eines jeden Jahres erinnern wir in Düsseldorf an die Novemberpogrome von 1938. So haben wir uns auch heute Morgen zum stillen Gedenken hier an der Kasernenstraße versammelt. Heute Abend kommen wir hier erneut zusammen, um die Lichtinstallation missing link_ einzuschalten.
Der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball hat dieses Werk geschaffen. Lieber Mischa Kuball, mein großer Dank gilt Ihnen für Idee und Umsetzung. Mein Dank gilt ebenfalls der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, die das Projekt wohlwollend begleitet und unterstützt haben. Die Mahn- und Gedenkstätte sowie die Kunstkommission waren hier ebenfalls eingebunden. Als Stadt begrüßen wir dieses Stück Kunst im öffentlichen Raum ausdrücklich.
Aber: Es ist beileibe kein Kunstwerk wie jedes andere. Es ist mehr als das.
Die Installation will auf eine Leerstelle in unserer Stadt hinweisen. Eine Leerstelle, die seit 85 Jahren besteht. Eine Lücke, die uns als Stadtgesellschaft mit Schmerz erfüllt. Es ist ein „Link", ein Verweis auf die große Synagoge, die hier bis 1938 stand und auf die Stunde genau vor 85 Jahren in Brand gesteckt wurde. Zugleich verweist die Lichtinstallation wiederum auf die furchtbaren Verbrechen, die den Jüdinnen und Juden angetan wurden: Auf die Pogrome im November 1938.
Auf die Ausgrenzung, Entrechtung, Verfolgung und Tötung von Jüdinnen und Juden.
Auf das, was folgte: Die Shoa, den massenhaften Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden.
Die Leerstelle hier zeigt, wer fehlt. - Die Menschen, die ermordet wurden, fehlen.
Die Leerstelle hier zeigt, was fehlt. - Die alte Synagoge fehlt.
Das prächtige Bauwerk wurde zur Zeit seiner Entstehung um 1904 als eine Zierde für die Silhouette Düsseldorfs und für das Stadtbild gewürdigt. Die Synagoge war eine Stätte des Glaubens, aber auch eine Vielzahl von Veranstaltungen fanden hier statt. Damit war sie ein zentraler Ort der Begegnung der großen und lebendigen jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Bis zum 9. November 1938.
Nach dem Ende der NS-Zeit wurde die Synagoge hier nicht wiedererrichtet. Die neue Düsseldorfer Synagoge wurde an anderer Stelle erbaut. Hier blieb nur die Leerstelle.
Auch dieses Kunstwerk hier versucht sich nicht am Wiederaufbau. Nicht des alten Gemäuers, nicht der historischen Fassade. Es ist keine Rekreation von etwas Verlorenem, keine Rekonstruktion. Aber vielleicht ist diese Lichtinstallation doch so etwas wie der Versuch einer Reparatur.
Im Talmud wird von „Tikkun Olam" geschrieben. Das kann übersetzt werden als „Reparatur der Welt". Demnach hat der Schöpfer den Menschen die Verantwortung für diese Welt übergeben. Es ist unsere Pflicht, für das Geschehen auf der Erde Verantwortung zu übernehmen. Die Welt in Ordnung zu halten, sie zu verändern, notfalls zu reparieren. Hier ist einiges kaputtgegangen. Hier wurde zerstört. Es liegt in unserer Verantwortung, zu reparieren. Immer und immer wieder darauf hinzuweisen, was zerstört wurde. Und daraus zu lernen. Auch dazu dient diese Installation.
Nach der Shoa können wir Heutigen nicht nahtlos anknüpfen an die frühere jüdische Gemeinde. Hier ist der missing link_, die fehlende Verbindung, die niemals wiederhergestellt werden kann.
Wenn wir schon die Lücke nicht schließen können, nicht mit Steinen wiederaufbauen können, so können wir doch versuchen, mit Licht zu „reparieren". Wir deuten mit Licht an, was hier einst stand. Wir lassen es mit Licht wiedererstehen. Wir machen mit Licht begreifbar, was fehlt.
Wir zeigen mit Licht die Dimension der Synagoge. Und es trägt dazu bei, auch die Dimension der Zerstörung zu verstehen und besser zu begreifen, was damals Furchtbares geschah.
Mischa Kuball macht es begreifbar. Er errichtet zwar kein Mauerwerk. Er macht es nicht mit Händen greifbar, denn Licht lässt sich nicht anfassen. Aber doch mit dem anderen, dem vielleicht wichtigsten Sinn des Menschen wird es begreifbar, mit dem Sehen. Und dazu braucht es Helligkeit.
„Es werde Licht! Und es ward Licht.", heißt es im Bereschit, im Buch Genesis.
Licht schenkt uns Menschen Hoffnung, gerade Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen. Mit dem Licht reparieren wir auch im übertragenen Sinne. Das erleben wir insbesondere jetzt, in der dunklen Jahreszeit, wenn wir an die Traditionen denken. An die Umzüge rund um St. Martin. An Advent und Weihnachten. An Chanukka. Denn das Licht lässt sich seit dem ersten Tag der Schöpfung nicht auslöschen. Genauso wenig, wie sich die Hoffnung auslöschen lässt.
Und auch die komplette Auslöschung des jüdischen Lebens, wie es die Nazis planten, ist nicht gelungen. Sechs Millionen Menschen wurden ermordet. Das ist furchtbar. Das dürfen wir nie vergessen. Aber: Wir haben heute wieder jüdisches Leben in Düsseldorf. Heute haben wir die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands in unserer Stadt. Das ist ein großes Glück. Das sollte Hoffnung geben.
Und wir tun alles, gerade in dieser aktuellen Lage, in dieser dunklen Zeit, damit Jüdinnen und Juden nicht die Hoffnung verlieren. In einer Zeit, in der das Massaker der Hamas in Israel uns trifft. In einer Zeit, in der auch hier bei uns Synagogen und andere jüdische Einrichtungen bedroht werden. In einer Zeit, in der sich Jüdinnen und Juden nicht auf die Straße trauen. In dieser Zeit ist es wichtig, öffentlich Präsenz zu zeigen. Es ist wichtig, nicht den Falschen den öffentlichen Raum zu überlassen. Es ist wichtig zusammenzuhalten und zusammenzustehen, wie am heutigen Tag. Und wohl kaum zu einer anderen Zeit in der jüngeren Vergangenheit war Gedenken, Erinnern und Mahnen so wichtig. Aber auch Aufklärung, Information und Bildung.
„Tikkun Olam" bleibt eine Aufgabe in dieser Zeit. Denn unsere Welt muss an vielen Stellen repariert werden - und unsere Gesellschaft auch. Lassen Sie uns hoffen, lassen Sie alles tun, damit nicht noch mehr zerstört wird, nicht noch mehr repariert werden muss. Lassen Sie uns alles tun, dass sich so etwas, wie das, was am 9. November 1938 geschah, nicht wiederholt. Lassen Sie uns alles tun, damit im heutigen Düsseldorf Jüdinnen und Juden unbehelligt leben können.
Das zu erreichen, dafür ist auch diese Lichtinstallation ein Baustein, der von hoffentlich vielen gesehen wird. Ein sehenswerter, ein sehr berührender, leuchtender Baustein noch dazu. Herzlichen Dank an Mischa Kuball für dieses Kunstwerk, das er für seine Heimatstadt Düsseldorf geschaffen hat.